Auf Streife, Teil 04


"Mit ihrem Arm, tut mir Leid, Herr Hauptwachtmeister, aber seien sie bitte ein wenig kooperativ." Der Mann, der da so leichtfertig einher redete war Verwaltungskommissar Zustangel. Bereits einen Tag nachdem Herlin aufgewacht war, drei Tage nach seiner Verwundung und Operation, hatte dieser dürre Mann es gewagt, im Krankenzimmer zu erscheinen, um sich nach einem zackigen Gruß einen Stuhl heranzuziehen, dabei die anderen Patienten zu wecken und lautstark mit der Befragung und Protokollierung der Ereignisse, die zu der Amputation führten, zu beginnen.
Herlin verabscheute ihn, schon immer. Aber Zustangel hatte den höheren Rang und kein Hauptwachtmeister (oder irgend ein Wachtmeister) würde sich jemals mit einem Kommissar streiten. Seitdem er bemerkt hatte, dass der Dämon ihn zum Krüppel geprügelt hatte, waren nur noch kurze Grunzer des Dankes aus Herlins Mund gedrungen, wenn eine der Pflegerinnen ihm das Essen brachte oder den Nachttopf reichte. Aus diesem Grund hatte der behandelnde Arzt, ein alter, aber immer noch engagierte Mann namens Süßgips, der schon viele einfache Bertis behandelt und einen Heidenrespekt vor ihnen und ihrer Arbeit hatte, den Kommissar freundlich aber bestimmt darauf hingewiesen, dass sein Patient derzeit nicht in der Lage wäre, Auskünfte zu geben. Doktor Süßgips kannte aber nicht nur die Bertis, sondern auch ihre Vorgesetzten und vor allem jene eifrigen, regelgläubigen Karrierewachtstubenidioten, die keine Rücksicht auf die einfachen Leute nahmen, weil sie nie mit ihnen in Berührung kamen. Daher war es nur verständlich, dass er später zu Gunsten Hauptwachtmeister Kargerheims aussagte, als es zum Verfahren kam.
"Nun sagen sie schon etwas, Mann!" Zustangel wurde zusehends lauter und unfreundlicher, aber Herlin starrte weiter vor sich hin. Die Pflegerinnen hatten ihn für das Frühstück aufgesetzt und er hatte immer wieder abgewunken, wenn sie ihn hatten hinlegen wollen. Aber er hatte seinen Vorgesetzten kurz angesehen, als jener das Zimmer betreten hatte, deshalb konnte er mehr so tun, als wenn er vollkommen geistesabwesend sei.
"Mein Knüppel hat ihn verbrannt." Seine Stimme war leise, aber fest. Dennoch konnte man Herlins Gefühle in ihr brodeln hören.
"Ah, endlich eine Antwort. Gut, sonst hätte ich ihr unkooperatives Verhalten in ihren Akten vermerken müssen." Der Verwaltungskommissar klopfte mit seinem Stift auf seine Schreibbrett, wie er es schon mehrmals getan hatte und rückte die Unterlage noch einmal zurecht. "Dann fangen wir am besten noch einmal von vorne an. Ihr Name ist Herlin Kargerheim, Wohnhaft in der Soraner Gasse 27, Verheiratet, Kinderlos und seit 22 Jahren bei der Wache. Sind diese Angaben korrekt?" Man konnte das Fragezeichen förmlich hören. Es war ein scharf geschnittenes, präzises Fragezeichen, sparsam an Tinte mit einem Punkt, dessen Abstand zum zum Strich mit Zirkel und Lineal genau bestimmt worden war.
"Mein Knüppel hat ihn verbrannt." Herlins Stimme war nur ein wenig lauter geworden, aber Tränen waren in seinen Augen erschienen.
"Ja, dass sagten sie bereits. Aber bitte beantworten sie meine Frage."
"Mein Knüppel hat ihn verbrannt, und seine Augen haben geglüht." Eine einsame Träne begann seine Wange herunter zulaufen.
"Da ich weiß, dass sie Hauptwachtmeister Kargerheim sind, werde ich die Frage für sie mit einem 'Ja' beantworten. Dann machen wir ja immerhin einen kleinen Fortschritt. Nun zum Tathergang: Wann trafen sie am Ort des Geschehens ein."
Herlin wandte sich mit einem Ruck seinem Vorgesetzten zu. "Mein Knüppel hat ihn verbrannt, hören sie nicht?" Sein Gleichgewichtssinn verließ ihn in diesem Moment, war er doch noch nicht daran gewöhnt, nur noch einen Arm zu besitzen. Er kippte aus dem Bett, versuchte sich noch mit der einen Hand zu halten, aber der Armstumpf prallte bereits gegen den Verwaltungskommissar und das Blut drückte sich durch den Verband auf die Uniform.
Zustangel sprang brüllend auf, wodurch Herlin noch schneller zu Boden glitt. "Was fällt ihnen ein?" Er blickte an sich herunter. Das Blut war nur als dunkler Fleck auf der grünen Uniform zu erkennen. "Was fällt ihnen ein?" Ein Mann wie Zustangel war niemals sprachlos, aber es konnte schon passieren, dass er sich wiederholte. "Das wird ernsthafte Konsequenzen für sie haben."
Während Herlin versuchte, seinen Sturz mit dem einen Arm abzufangen und in so etwas wie eine Rolle abzuwandeln, brüllte Zustangel weitere Drohungen und Floskeln durch das Zimmer, bis schließlich eine Pflegerin herein kam, Herlin zurück ins Bett half und einen Arzt hinzu zog, welcher schließlich den Verwaltungskommissar des Raumes verwies.

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